Kurz erklärt: Was ist die Ivy League?

steel gate of brown brick building

Viele meiner Klienten interessieren sich für ein Studium an der Ivy League. Das sind acht der ältesten, besten und renommiertesten Universitäten in den USA: Harvard, Princeton, Yale, Columbia, Brown, Cornell, Dartmouth und die University of Pennsylvania. Studienplätze an diesen Unis sind extrem begehrt; mittlerweile werden dort für das Bachelorstudium nur noch weniger als 10 Prozent aller Bewerber genommen, teilweise weniger als 5 Prozent. Die Zulassungschancen sind also äußerst gering – selbst bei Bestnoten und außergewöhnlichen Leistungen außerhalb der Schule.

Dennoch ist die Faszination für diese Elite-Unis ungebrochen. Das Label „Ivy League“ steht für höchste Qualität, Prestige, Karriere-Netzwerke und beruflichen Erfolg, denn vermeintlich handelt es sich hier um die „besten“ amerikanischen Universitäten. Der Begriff ist so wirkungsmächtig, dass er als Synonym für Qualität auch auf andere US-Hochschulen angewendet wird, die eigentlich nicht dazu gehören: Die führenden staatlichen US-Universitäten werden gern als „Public Ivies“ bezeichnet, die besten Liberal Arts College gelten als „Little Ivies“, und Spitzenunis wie Stanford, MIT oder Duke werden als „ivy-like“ beschrieben.

Die Ivy League ist eine Sportliga

Doch woher kommt der Begriff eigentlich? Anders als die „Russell Group“ oder die „G5“ in Großbritannien oder die „G8“ in Australien bezieht sich die Bezeichnung Ivy League nicht auf wissenschaftliche Spitzenleistungen, sondern auf die Mitgliedschaft in einer Liga des US-Hochschulsports: der „Efeu-Liga“ eben. Denn diese acht Universitäten – alle im Nordosten der USA gelegen und in vielen Punkten einander ähnlich – begannen in den 1930er Jahren, gegeneinander im American Football anzutreten. Es hätten auch noch andere Hochschulen mitmachen können, aber die Colgate University zum Beispiel lag zu weit entfernt und die Rutgers University wollte nicht ihren Status als führende staatliche Universität in New Jersey aufgeben.

Warum wird also so viel Aufhebens um eine Sportliga gemacht? Nun, die Universitäten, die in der Ivy League gegeneinander antreten (und längst nicht mehr nur im Football) sind allesamt Weltklasse-Universitäten, daran besteht kein Zweifel. In den aktuellen Rankings von US News & World Report belegt Princeton Platz 1, gefolgt von Columbia und Harvard auf Platz 2, Yale belegt Platz 5, Penn Platz 8, Dartmouth Platz 13, Brown Platz 14 und Cornell Platz 17. Aber genau diese Zahlen – was immer man von ihnen halten mag – zeigen auch, dass die Ivy League Unis eben nicht die „besten“ US-Unis sind, denn etliche andere Hochschulen schneiden genauso gut oder teilweise besser ab. Ich empfehle daher in der Studienberatung, sich nicht nur auf diese acht zu versteifen, sondern auch neugierig auf attraktive Alternativen zu sein.

Große Unterschiede zwischen den Ivy League Unis

Hinzu kommt, dass es zum Teil große Unterschiede zwischen den Ivy League Universitäten gibt. Daraus folgt, dass es wenig Sinn hat, sich an allen acht gleichzeitig zu bewerben. Meistens führt dies selbst bei besten Voraussetzungen zu mindestens sechs Absagen, denn jede Uni sucht nach einem bestimmten Bewerbertypus. Wer beispielsweise ein erfolgversprechender Kandidat für Dartmouth ist, könnte sich auch gut an kleineren Hochschulen wie Middlebury, Williams oder Bowdoin bewerben, aber nicht an Columbia oder Penn. Eine passende Bewerberin für Penn hingegen wäre auch an Unis wie Stanford, Michigan oder Duke gut aufgehoben, nicht jedoch an Princeton oder Brown. Sich nur aufgrund der Rankings an allzu vielen Ivy League Unis zu bewerben, ohne die fundamentalen Unterschiede zwischen den einzelnen Hochschulen im Hinblick auf die gewünschten Eigenschaften von Bewerbern zu verstehen, führt höchstwahrscheinlich zu Enttäuschungen.

Die Statistiken sprechen die gleiche Sprache: Bei allen acht Ivies liegt die Zulassungsquote inzwischen deutlich unter 10 Prozent, teilweise unter 5 Prozent. Das heißt, diese Hochschulen sind ultraselektiv und haben freie Auswahl zwischen Bewerberinnen und Bewerben mit den allerbesten Noten, Testergebnissen und außerschulischen Leistungen in den USA und weltweit. Wie verrückt die Konkurrenz ist, wird deutlich, wenn man bedenkt, dass die Ivy-League-Unis zusammengenommen jedes Jahr knapp 20.000 neue Studienanfänger aufnehmen. Gleichzeitig machen in den USA jedes Jahr rund dreieinhalb Millionen Schülerinnen und Schüler ihren High Abschluss; das heißt die Ivies haben nicht einmal genügend Platz für das oberste 1 Prozent der US-Absolventen. Nimmt man die Bewerbungen aus dem Ausland dazu, wird es noch schwieriger, sich hier durchzusetzen. Zumal die Zulassungsentscheidungen alles andere als objektiv sind.

Tipps für die Bewerbung an der Ivy League

Was bedeutet all dies für internationale Studieninteressenten, die auf ein Studium an der Ivy League fixiert sind? Als erstes gilt es zu verstehen, dass die Ivies bei weitem nicht die einzigen Top-Universitäten in den USA sind. Bei insgesamt rund 2.000 US-Hochschulen mit Bachelorabschluss besteht allein das Top 1% aus 20 Hochschulen. Man geht sicher nicht zu weit zu behaupten, dass mindestens die Top 5% der US-Unis den führenden Universitäten in Deutschland und Europa mindestens ebenbürtig sind. Ich empfehle daher, ein breiteres Verständnis davon zu entwickeln, was eine erstklassige US-Universität ausmacht. Dass höchste Qualität auch an hierzulande weniger bekannten Einrichtungen zu finden ist, zeigt sich allein daran, wo all die Bewerber studiert haben, die anschließend für ein Master- oder Doktorandenstudium an der Ivy League genommen werden. Oder an welchen Hochschulen die Chefs zahlreicher führender US-Unternehmen ihren Bachelor gemacht haben.

Zweitens ist für den Erfolg einer Bewerbung entscheidend, dass Bewerberin und Universität zueinander passen. In den USA spricht man in diesem Zusammenhang von „fit“. Das betrifft nicht nur die akademischen Interessen („academic fit“), sondern auch das außerschulische Engagement („extracurricular fit“) und Persönlichkeitsmerkmale („personal fit“). Nach welchen Werten und Eigenschaften die Unis genau suchen, ist unter anderem an den Fragen ersichtlich, zu denen Bewerbungsessays verfasst werden müssen. Manchmal steht es auch direkt auf der Webseite.

Drittens kommt es darauf an, ehrlich zu sich selbst zu sein. Was ist so herausragend an den eigenen Leistungen, dass man in einem Bewerberfeld von lauter Klassenbesten, Preisträgern, Nachwuchswissenschaftlern, Aktivisten, Jungunternehmern oder sportlichen Ausnahmetalenten bestehen kann? Um hier hervorzustechen, braucht man, was wir in der Studienberatung einen „hook“ nennen – ein Alleinstellungsmerkmal, an dem die Leser der Bewerbung hängen bleiben. Zwei Beispiele aus meiner Beratung: Eine Schülerin, die kürzlich an Harvard und Stanford genommen wurde, hat sich unter anderem sehr stark dafür engagiert, Mädchen für das Programmieren zu begeistern, mehrere Preise bei Google-Wettbewerben gewonnen und war eine von nur zwei jungen Frauen, die für das Schülerkolleg eines renommierten IT-Instituts genommen wurden. Eine andere konnte acht Sprachen, hatte erste Plätze bei den Bundeswettbewerben Fremdsprachen und Lyrix belegt und bereits eigene Gedichte veröffentlicht. Welchen „hook“, welche spannende Geschichte hat man selbst zu bieten?

Alternativen zur Ivy League

All dies muss nicht entmutigend sein, denn die USA haben Dutzende, wenn nicht Hunderte hervorragende Colleges und Universitäten zu bieten, bei denen es bei weitem nicht so schwierig ist, angenommen zu werden. Klar: Wer hat schon von Bowdoin, Vanderbilt, Rice oder Williams gehört? In den deutschen Medien tauchen solche Namen sehr selten auf, und ein Studium dort scheint riskant zu sein, weil Arbeitgeber in Europa die Jobbewerbung vermeintlich gleich zur Seite legen, wenn sie den Namen der US-Uni nicht kennen. Doch dies ist ein Mythos! Wer sich die Mühe macht und ein bisschen in US-Medien und Diskussionsforen recherchiert, findet schnell heraus, dass all dies Top-Unis sind, die hohes Ansehen genießen und großartige Sprungbretter für eine erfolgreiche Karriere sind. Unter meinen ehemaligen Klienten sind Schüler, die an vermeintlich wenig bekannten, aber großartigen kleinen Colleges studiert haben und heute an der Uni Cambridge in Physik promovieren oder bei Goldman Sachs in New York als Investmentbanker arbeiten.

Wer nicht in der Efeu-Liga spielt, spielt also noch lange nicht 2. Liga.

Riesiger Betrugsskandal um Zulassung an US-Eliteunis

Die US-Hochschullandschaft wird aktuell von einem Betrugsskandal erschüttert, wie ihn das Land noch nicht erlebt hat. Offenbar zahlten einige sehr vermögende Eltern – darunter Hollywood-Schauspieler, Unternehmenschefs, Börsen- und Immobilieninvestoren – zwischen 200.000 und 6,5 Millionen Dollar an eine dubiose Stiftung, um ihren Kindern auf kriminellem Wege eine Zulassung an Eliteuniversitäten wie Yale, Stanford, Georgetown, UCLA oder der University of Southern California zu ermöglichen. Mit den als Spenden getarnten Geldern wurden dann Sporttrainer und andere Mitarbeiter der betroffenen Hochschulen bestochen.

Im Zentrum des Betrugs steht der 58-jährige Unternehmer Rick Singer, Gründer der Studienberatungsfirma „Edge College & Career Network“. Er versprach den prestigesüchtigen Eltern, ihren Sprösslingen über eine „Seitentür“ Zugang zur Welt der Elite-Colleges zu verschaffen. Konkret sah das so aus:

  • Damit die Kinder im Zulassungstest SAT bzw. ACT Top-Ergebnisse erzielen, wurden „Lernschwächen“ vorgetäuscht. Dadurch erhielten die Kinder mehr Zeit für die Prüfung und konnten sie überdies in speziellen Testzentren allein mit einer erwachsenen Aufsichtsperson ablegen, die geschmiert war und für die Kinder die Kreuze an den richtigen Stellen machte.
  • Da Spitzensportler beim Auswahlprozess im Vorteil sind, wurden mithilfe von Photoshop oder gestellten Aufnahmen Fake-Sportprofile erstellt, die die Kinder bei Sportarten zeigten, die sie zum Teil gar nicht ausübten. Vor allem aber erhielten insgesamt neun Trainer bei mehreren Eliteunis Bestechungsgelder im sechsstelligen Bereich, damit sie gegenüber den Zulassungsstellen auf die unbedingte Notwendigkeit dieser vermeintlichen Top-Rekruten pochten. Dass nach der Zulassung viele davon gar nicht zum Training erschienen sind, scheint niemandem aufgefallen zu sein.

Aufgeflogen ist die ganze Sache, weil der Frauenfußball-Trainer der Yale University bei der Geldübergabe von einem getarnten FBI-Agenten überführt wurde und anschließend gestanden hat. Auch Singer, der Mastermind hinter dem Betrugssystem und selbst ein ein ehemaliger Trainer, hat alles zugegeben. Am Dienstag morgen sind rund 300 Beamte des FBI ausgeschwärmt und haben die verdächtigen Eltern teils noch in ihren Wohnungen verhaftet und Anklage erhoben. Näheres dazu in der Berichterstattung der New York Times.

Diese Vorkommnisse sind ungeheuerlich und bestätigen leider das Vorurteil, dass man in den USA mit Geld und Einfluss alles kaufen kann, sogar die Zulassung zu den Elitehochschulen des Landes, wo vorgeblich allein die Leistung zählt. Für die Unis dürfte es in Zukunft sehr schwer werden, diese Behauptung vor Schülern, Eltern und Öffentlichkeit mit aufrechter Haltung zu wiederholen.

Zum anderen nährt der Betrug aber auch den Verdacht, dass private Studienberatungsdienste mit unlauteren Methoden arbeiten. Die Dimensionen dieses spezifischen Falles sind natürlich jenseits des bisher Vorstellbaren, aber da auch consultUS eine unabhängige USA-Studienberatung anbietet, ist es mir ein Anliegen zu betonen, dass meine Arbeit den strengen ethischen Grundsätzen der National Association of College Admissions Counselling verpflichtet ist. Außerdem lege ich in meiner Beratung großen Wert darauf, sich von der Fixierung auf einige wenige Ivy League-Unis zu lösen und die trotz allem unvergleichliche Vielfalt der amerikanischen Hochschullandschaft in den Blick zu nehmen. Nur so ist es möglich, passende Colleges und Universitäten zu finden, an denen junge Menschen ihr Potenzial zur vollen Entfaltung bringen können.

Bewerbung und Zulassung an Harvard: Worauf es ankommt

Kürzlich war ich auf einer Campusreise in Boston und habe bei der Gelegenheit auch mal wieder an der Harvard University vorbeigeschaut. Und der kleine Abstecher hat sich gelohnt! Im historischen Sanders Theater lief eine Informationsveranstaltung für Studieninteressierte. Es war Samstag vormittag, und das Auditorium war voll besetzt mit Schülern, Eltern und anderen Besuchern. Auf der Bühne: keine langweilige, zig-mal gehörte Powerpoint-Präsentation, sondern ein lebendiges Gespräch zwischen einem Repräsentanten der Universität und zwei aktuellen Studentinnen zu verschiedenen Aspekten des Studiums an Harvard. Sehr persönlich, sehr dem Publikum zugewandt. Da habe ich an anderen US-Eliteunis schon ganz anderes erlebt.

„Objektive Qualifikationen spielen für die Zulassung letztlich keine Rolle“

Das Beste kam jedoch zum Schluss. Nachdem die beiden Studentinnen die Bühne verlassen hatten, hielt der Harvard-Repräsentant eine knapp 15-minütige Rede, in der er erläuterte, nach welchen Kriterien und Verfahren die Zulassungsentscheidungen zum Bachelorstudium an Harvard getroffen werden. Nichts grundlegend Neues, aber selten habe ich das Verfahren der „highly selective college admissions“ so anschaulich und eindringlich beschrieben gehört. Ein exzellenter Vortrag, der mir und den anwesenden Kollegen aus dem Herzen sprach, denn genau diese Punkte sind es, die wir den Schülern in der Studienberatung zu vermitteln versuchen. Und wenn es „straight from the horse’s mouth“ kommt, ist es natürlich noch einmal überzeugender.

Für alle, die an Harvard und ähnlich renommierten Universitäten studieren möchten und nicht dabei sein konnten, habe ich den Vortrag mit meiner Kamera festgehalten. In den ersten Minuten ist das Bild noch etwas wackelig, weil der junge Mann vor mir sich nicht entscheiden konnte, ob er seine Basecap auf- oder absetzen wollte. Auch der Ton ist trotz Mikrofon nicht immer klar verständlich; deshalb habe ich den Vortrag sicherheitshalber untertitelt. Was hier über die Zulassung an Harvard gesagt wird, gilt so oder so ähnlich  auch für andere US-Hochschulen, an denen nur ein Bruchteil der Bewerber zugelassen wird.

Ob das Ganze „fair“ ist – wie im Vortrag behauptet – sei mal dahingestellt. Nicht erwähnt wird nämlich, dass die Kinder von Ehemaligen (sogenannte „legacy students“) deutlich höhere Chancen auf Zulassung haben und die Eliteunis hier auch gerne ein Auge zudrücken bei den Kriterien. An Harvard bestehen rund 12-13 Prozent eines Jahrgangs aus „legacies“. Ihre Zulassungsquote liegt bei rund 30 Prozent und ist damit rund sechsmal so hoch wie für normale Bewerber. Auch für leistungsstarke Sportler werden die Kriterien häufig etwas aufgeweicht, denn die Eliteunis wollen natürlich auch ihre Sportmannschaften siegen sehen. (Nachzulesen in The Price of Admission: How America’s Ruling Class Buys Its Way into Elite Colleges–and Who Gets Left Outside the Gates vom Wall Street Journal-Reporter und Harvard-Absolventen Daniel Golden.)

Kurz vorgestellt: Princeton University

Unter den „Großen Drei“ der amerikanischen Ivy League Universitäten (Harvard-Yale-Princeton) ist die Princeton University in Princeton (New Jersey) mit nur rund 7.500 Studierenden (davon 5.000 im Bachelorstudium) die kleinste. Damit besetzt die Hochschule unter den Super-Eliteuniversitäten der USA eine besondere Nische. Denn einerseits handelt es sich um eine führende Forschungsuniversität mit zahlreichen Spitzenforschern auf allen Gebieten, andererseits haben diese Star-Professoren  aufgrund der relativ geringen Zahl an Masterstudierenden und Doktoranden die Möglichkeit, einen Großteil ihrer Aufmerksamkeit den Bachelorstudierenden zu widmen. Das bedeutet: eine intensive Betreuung und viele Möglichkeiten für anspruchsvolle eigene Studienvorhaben unter Anleitung eines Hochschullehrers. Auch in punkto Location hebt sich Princeton von der Konkurrenz ab: Während Harvard Teil der Ostküstenmetropole Boston ist und New Haven (Yale) noch immer zu den US-Städten mit der höchsten Kriminalitätsrate zählt, ist das Städtchen Princeton (ca. 25.000 Einwohner) klein, wohlhabend und weitgehend sicher.

Der beeindruckende Campus der Universität erinnert mit seiner überwiegend neugotischen Architektur an Oxford, Cambridge und Harry Potter. (Eine virtuelle Tour mit vielen Fotos gibt es hier.) Besonders ins Auge stechen die riesige, reich verzierte Universitätskirche und der Cleveland Tower, der sich majestätisch über die Baumwipfel erhebt. Andere Gebäude wie die mehr als 250 Jahre alte Nassau Hall sind im Kolonialstil gehalten, während einige moderne Einrichtungen von führenden Architekten wie Robert Venturi und IM Pei entworfen wurden. Insgesamt aber sieht Princeton haargenau so aus, wie man sich eine Ivy League Universität vorstellt. Noch immer hält sich übrigens hartnäckig die (widerlegte) Legende, dass der Begriff „Ivy League“, der sich eigentlich nur auf die Mitgliedschaft in einer Sportliga bezieht, seinen Ursprung in den Efeuranken an den Mauern von Nassau Hall hat. Das Ganze wirkt sehr gediegen und exklusiv, und obwohl Geld bei der Zulassung keine Rolle spielt, hängt Princeton nachhaltig der Ruf an, eine Bastion des privilegierten Neuengländer Geldadels zu sein. Tatsächlich ist die sozioökonomische Mischung der Studentenschaft aber kaum anders als an den anderen Ivy League Hochschulen.

Unterschied zu Harvard und Yale: Fokus auf das Bachelorstudium

West_College_PrincetonWas Princeton von den anderen Ivy League-Institutionen unterscheidet, ist vor allem der starke Fokus auf das vierjährige Bachelorstudium. Für eine Forschungsuniversität bietet Princeton den Bachelorstudenten einen ungewöhnlich engen Kontakt zu den Professoren. Selbst die Einführungsvorlesungen werden nicht, wie oft an größeren Einrichtungen, von wissenschaftlichen Assistenten und Doktoranden gehalten, sondern fast immer von den berühmten Professoren höchstpersönlich. Das Freshman Seminar Program, an dem rund zwei Drittel aller Studienanfänger teilnehmen, bietet weitere Möglichkeiten, gleich zu Beginn des Studiums einen engen Kontakt zum Lehrpersonal aufzubauen. Bei diesem Programm können sich die Studierenden in kleinen Gruppen in eines von mehr als 60 Themen vertiefen und dabei das Handwerk des wissenschaftlichen Arbeitens lernen.

Alle Bachelorstudierenden müssen zudem unabhängig von ihrem Hauptfach eine Art Studium Generale absolvieren, zu dem unter anderem Kurse in Erkenntnistheorie, Ethik, Literatur, Geschichte, Mathematik und Naturwissenschaft gehören. Das ist an den meisten US-Universitäten so. Wer an Princeton studiert, muss allerdings im dritten Studienjahr zusätzlich zum normalen Kurspensum noch zwei längere eigenständige Arbeiten zu je 30 Seiten verfassen. Außerdem ist Princeton eine der wenigen US-Universitäten, an denen die Bachelorstudierenden im letzten Studienjahr eine lange Abschlussarbeit („senior thesis“) erstellen müssen, die einer Masterarbeit in Deutschland in nichts nachsteht. Viele Absolventen sagen, die Arbeit an ihrer „senior thesis“ sei eine ihrer besten Erfahrungen an Princeton gewesen. Aus all dem dürfte deutlich werden, dass das Niveau hier höchst anspruchsvoll ist, und die Bestnote „A“ ist bedeutend schwieriger zu bekommen als an anderen Elitehochschulen, wo oftmals noch immer die berüchtigte „grade inflation“ vorherrscht.

Natürlich bringt die überschaubare Größe der Universität auch einige Nachteile mit sich, denn die Auswahl an Kursen ist dadurch kleiner als an größeren Einrichtungen. Aber ein Mangel an Masse bedeutet keineswegs einen Mangel an Klasse. Bei den Studiengängen gehören Mathematik, Philosophie, Anglistik, Physik, VWL, Molekularbiologie, Verwaltungswissenschaft und Romanistik zum Besten, was die USA zu bieten haben. Auch die Ingenieurwissenschaften sind stark vertreten. Eine der bekanntesten Einrichtungen ist  die renommierte politikwissenschaftliche Woodrow Wilson School of Public and International Affairs, benannt nach dem ehemaligen US-Präsidenten, Friedensnobelpreisträger und Princeton-Absolventen Woodrow Wilson.

Studentenleben: Gemeinsames Wohnen und exklusive Clubs

Whitman_College_PrincetonDie Mehrheit der Princeton-Studierenden ist eher konservativ-traditionell eingestellt, und wer einen politisch aktiven Campus sucht, sollte sich andernorts umsehen. Um die sozialen Kontakte der Studierenden untereinander zu verbessern, hat die Hochschule kürzlich ihre Wohnheime zu sogenannten Residential Colleges gruppiert (Foto rechts: Whitman College), in denen die Studierenden in den ersten beiden Jahren gemeinsam wohnen, essen und Aktivitäten nachgehen. Die Studierenden im dritten und vierten Studienjahr hingegen sind häufig Mitglied in sogenannten Eating Clubs, die Studentenverbindungen ähneln und einen Großteil des Soziallebens auf sich vereinen. Ähnlich wie bei den fraternities/sororities handelt es sich dabei um Bastionen des Traditionalismus, zu denen der Zugang entweder per Losentscheid oder Auswahlverfahren vergeben wird.  Die beiden ältesten Eating Clubs – der Ivy Club und der Tiger Inn – wurden erst 1991 gerichtlich dazu gezwungen, auch Frauen aufzunehmen. Mit Mitgliedsgebühren von rund $5.000 pro Jahr ist der Ivy Club auch die teuerste Verbindung. Die Spaltung, die diese exklusiven Cliquen in die Princeton-Studierendenschaft bringen, soll durch die anhaltende Anbindung an die „Residential Colleges“ vermindert werden. Vereint sind außerdem alle in der Begeisterung für den Princeton den Sport und die Spiele der „Tigers“ (insbesondere Football und Basketball).

Bewerbung und Zulassung an Princeton

Genau wie an den anderen renommierten US-Universitäten herrscht um die Zulassung an Princeton extreme Konkurrenz. In diesem Jahr (2016) wurden von rund 29.000 Bewerbern nur knapp 1.900 zugelassen; das entspricht einer Quote von 6,5 Prozent – ein neuer (Minus-)Rekord. Zur Bewerbung gehören neben den schulischen Leistungen seit einschließlich Klasse 9 auch Ergebnisse aus den Eignungstests SAT oder ACT sowie zwei SAT Subject Tests. Dass die Schulnoten absolut top sein müssen, versteht sich von selbst – rund die Hälfte der angenommenen Bewerber hatte die Bestnote 1,0 (bzw. 4,0 im US-Notensystem).

Aber Top-Noten und Spitzenwerte in den Tests sind nicht alles, denn das können fast alle Bewerber vorweisen. Für eine erfolgreiche Zulassung kommt es darauf an, der Universität zu zeigen, was einen darüber hinaus auszeichnet. Auf der Webseite heißt es:

We look for students who make a difference in their schools and communities, so tell us about your leadership activities, interests, special skills and other extracurricular involvements. Tell us if you’ve had a job or a responsibility in your home. Most Princeton students were academic standouts in high school. Most of them also invested their energy and talents in significant ways outside the classroom. We want to know what you care about, what commitments you have made and what you’ve done to act on those commitments.

Kurz gesagt: Ein 1,0-Abitur und dreimal die Woche Sport genügen nicht. Princeton sucht Schüler, die für eine oder mehrere Sachen brennen, rausgehen und etwas auf die Beine stellen. Außerdem kommt es natürlich darauf an, die eigene Persönlichkeit durch einprägsame Essays in bestem Licht zu präsentieren. Hier ein aktuelles Beispiel für einen erfolgreichen Ivy-League-Essay.

Geld spielt keine Rolle: Kosten und Stipendien

Firestone_Library_PrincetonDie Kosten eines Studiums an Princeton betragen zurzeit insgesamt rund $64.000 pro Jahr, inklusive Studiengebühren, Unterkunft und Verpflegung. Natürlich zahlen bei weitem nicht alle Studierenden diese hohe Summe, sondern nur diejenigen, die es sich leisten können. Alle anderen (rund zwei Drittel) erhalten zum Teil erhebliche Finanzbeihilfen von der Universität und/oder der US-Regierung. Für die Zulassung spielt die Zahlungsfähigkeit überhaupt keine Rolle, denn Princeton arbeitet nach dem Prinzip der „need-blind admission“: Die Zulassungsentscheidung wird ohne Ansehen der finanziellen Möglichkeiten der Bewerber getroffen. Stellt sich dann heraus, dass ein angenommener Bewerber das Studium nicht aus eigener Tasche bezahlen kann, zahlt die Universität die Differenz zwischen dem, was die selbst aufbringen kann, und den Gesamtkosten – bis hin zum Vollstipendium. Und es kommt noch besser: Princeton ist eine von zurzeit nur fünf US-Universitäten, die diese Praxis auch auf ausländische Bewerber anwenden! Hier gilt also tatsächlich, dass ein USA-Studium am Geld nicht scheitern muss. Die eigentliche Hürde besteht freilich darin, überhaupt zu den auserwählten 6 Prozent zu gehören, die eine Zusage erhalten.

Weitere Beiträge in der Reihe „Kurz vorgestellt“:

Fotos: (c) Pete Spiro / Shutterstock.com, Wikipedia

Shoppen im Großmarkt: Beispiel für einen erfolgreichen Ivy League-Essay

Alle Jahre wieder im April kursieren in den Medien Berichte über US-Schülerinnen und Schüler, denen das Kunststück gelungen ist, an allen acht — oder zumindest mehreren — Ivy League-Universitäten gleichzeitig angenommen zu werden. Weitaus seltener kommt es hingegen vor, dass diese Überflieger Teile ihrer erfolgreichen Bewerbung der Öffentlichkeit zugänglich machen. Die Schülerin Brittany Stinson aus Delaware wurde dieses Jahr an immerhin fünf Ivy League Unis genommen (Yale, Columbia, University of Pennsylvania, Dartmouth und Cornell, außerdem an der Stanford University) und hat dem Wirtschafts- und Finanzportal Business Insider kürzlich erlaubt, ihren Bewerbungsessay zu veröffentlichen (Text weiter unten).

Dieser „Personal Essay“ ist Teil jeder Bachelor-Bewerbung an Hunderten von US-Hochschulen und bereitet fast allen Bewerbern Kopfzerbrechen. Denn in diesem maximal 650 Wörter langen Text soll nicht etwa begründet werden, warum man dieses oder jenes Fach studieren möchte, sondern es soll auf eloquente und originelle Weise die eigene Persönlichkeit zum Ausdruck kommen. Allein die Themenfindung ist oft ein langwieriger Prozess – das kenne ich aus der Arbeit mit den Schülern, die ich in meiner Studienberatung betreue. Viele neigen zunächst dazu, über die eigenen Erfolge z.B. im Sport zu schreiben oder über ihre Besorgnis um die demokratischen Werte angesichts zunehmender Abschottung und Fremdenfeindlichkeit in Europa. Brittany Stinson zeigt, dass die besten Essays oft nicht so hochtrabende Themen behandeln, sondern eher von Alltäglichem ausgehen: in ihrem Fall die regelmäßigen Einkaufstouren der Familie zu Costco, einer amerikanischen SB-Großhandelskette.

Show not tell: Was einen guten College-Bewerbungsessay ausmacht

Natürlich ist dieses vermeintlich banale Thema nur der Aufhänger für höchst komplexe Überlegungen zur eigenen Persönlichkeitsentwicklung, die auch noch mitreißend und auf hohem sprachlichen Niveau präsentiert werden. Dass der Essay so gut funktioniert, liegt vor allem daran, dass Brittany eine Geschichte erzählt und mit einer anschaulichen Anekdote gleich zu Beginn die Aufmerksamkeit der Leser gewinnt. Sie hält sich durchweg an das erzählerische Prinzip des „show not tell“ – das heißt, sie zeigt sich selbst in Aktion anstatt sich nur mit Adjektiven zu beschreiben. Dadurch wird der Essay lebendig. Ein so alltägliches Thema wie Costco und Hot Dogs macht sie zu einer Metapher für das große Ganze, ohne dass es angestrengt wirkt. Der leichte, spielerische und humorvolle Tonfall des Essays passt perfekt zu einem Teenager und wirkt viel authentischer, als wenn ein 17-jähriger zum Beispiel behauptet, täglich Kants kategorischen Imperativ zur Grundlage seines Handelns zu machen. Man kommt beim Lesen nicht umhin, Brittany zu mögen. Und das ist ein extrem wichtiges Element in einem erfolgreichen Bewerbungsessay. Und schließlich konzentriert sich der Text auf einen zentralen Aspekt: Brittanys Neugierde. Oft kranken Bewerbungsessays daran, dass die Schüler versuchen, zu viele Aspekte ihrer Persönlichkeit gleichzeitig unterzubringen, wodurch die Texte oberflächlich oder schlimmstenfalls konfus wirken.

Genug der Vorrede, hier nun der vollständige Text samt Fragestellung (via Business Insider). Wichtig ist noch der Hinweis, dass der Personal Essay nur ein Teil der College-Bewerbung ist. Natürlich hat Brittany auch mit Bestnoten, Top-Ergebnissen in den Eignungstests und beeindruckendem außerunterrichtlichem Engagement gepunktet. An den US-Eliteuniversitäten kann der Essay dann den entscheidenden Ausschlag geben, wenn Top-Bewerber ansonsten ähnliche Qualifikationen aufweisen.

Prompt 1: Some students have a background, identity, interest, or talent that is so meaningful they believe their application would be incomplete without it. If this sounds like you, then please share your story.

Managing to break free from my mother’s grasp, I charged. With arms flailing and chubby legs fluttering beneath me, I was the ferocious two­ year old rampaging through Costco on a Saturday morning. My mother’s eyes widened in horror as I jettisoned my churro; the cinnamon­sugar rocket gracefully sliced its way through the air while I continued my spree. I sprinted through the aisles, looking up in awe at the massive bulk products that towered over me. Overcome with wonder, I wanted to touch and taste, to stick my head into industrial­sized freezers, to explore every crevice. I was a conquistador, but rather than searching the land for El Dorado, I scoured aisles for free samples. Before inevitably being whisked away into a shopping cart, I scaled a mountain of plush toys and surveyed the expanse that lay before me: the kingdom of Costco. 

Notorious for its oversized portions and dollar­fifty hot dog combo, Costco is the apex of consumerism. From the days spent being toted around in a shopping cart to when I was finally tall enough to reach lofty sample trays, Costco has endured a steady presence throughout my life. As a veteran Costco shopper, I navigate the aisles of foodstuffs, thrusting the majority of my weight upon a generously filled shopping cart whose enormity juxtaposes my small frame. Over time, I’ve developed a habit of observing fellow patrons tote their carts piled with frozen burritos, cheese puffs, tubs of ice cream, and weight­loss supplements. Perusing the aisles gave me time to ponder. Who needs three pounds of sour cream? Was cultured yogurt any more well­mannered than its uncultured counterpart? Costco gave birth to my unfettered curiosity. 

While enjoying an obligatory hot dog, I did not find myself thinking about the ‘all beef’ goodness that Costco boasted. I instead considered finitudes and infinitudes, unimagined uses for tubs of sour cream, the projectile motion of said tub when launched from an eighty foot shelf or maybe when pushed from a speedy cart by a scrawny seventeen year old. I contemplated the philosophical: If there exists a thirty­three ounce jar of Nutella, do we really have free will? I experienced a harsh physics lesson while observing a shopper who had no evident familiarity of inertia’s workings. With a cart filled to overflowing, she made her way towards the sloped exit, continuing to push and push while steadily losing control until the cart escaped her and went crashing into a concrete column, 52” plasma screen TV and all. Purchasing the yuletide hickory smoked ham inevitably led to a conversation between my father and me about Andrew Jackson’s controversiality. There was no questioning Old Hickory’s dedication; he was steadfast in his beliefs and pursuits – qualities I am compelled to admire, yet his morals were crooked. We both found the ham to be more likeable – and tender.

I adopted my exploratory skills, fine tuned by Costco, towards my intellectual endeavors. Just as I sampled buffalo­chicken dip or chocolate truffles, I probed the realms of history, dance and biology, all in pursuit of the ideal cart–one overflowing with theoretical situations and notions both silly and serious. I sampled calculus, cross­country running, scientific research, all of which are now household favorites. With cart in hand, I do what scares me; I absorb the warehouse that is the world. Whether it be through attempting aerial yoga, learning how to chart blackbody radiation using astronomical software, or dancing in front of hundreds of people, I am compelled to try any activity that interests me in the slightest. 

My intense desire to know, to explore beyond the bounds of rational thought; this is what defines me. Costco fuels my insatiability and cultivates curiosity within me at a cellular level. Encoded to immerse myself in the unknown, I find it difficult to complacently accept the “what”; I want to hunt for the “whys” and dissect the “hows”. In essence, I subsist on discovery.

Was bedeutet Liberal Arts Education?

Fängt man  an, sich über das Bachelorstudium an nordamerikanischen Hochschulen zu informieren, stößt man immer wieder auf den Begriff liberal arts education. In Bezug auf das Ingenieurstudium betont z.B. die Princeton University:

Engineering at Princeton is taught within the context of a liberal arts approach to education.

Auch die weit weniger elitäre Florida State University weist darauf hin, dass es in den ersten beiden Studienjahren vor allem um „work in a broad-based liberal arts curriculum“ gehe. An der Rodman School of Commerce der kanadischen University of Toronto wird Wert darauf gelegt, dass sich die dort angebotenen BWL-Studiengänge seit jeher nicht nur mit Wirtschaftsfragen beschäftigt haben:

Despite their focus on commerce, these programs all maintained a strong emphasis on the liberal arts, which the the current BCom program continues to retain.

Mit den sogenannten „Liberal Arts Colleges“ gibt es in den USA sogar einige Hundert teilweise äußerst renommierte Hochschulen, bei denen dieses Konzept Programm ist. Wer das Wesen des Bachelorstudiums (College) in Nordamerika verstehen will, muss folglich den Liberal-Arts-Ansatz verstehen.

Unpraktische und praktische Fächer

Welche Bedeutung steckt dahinter? Das Wort „arts“ lässt vermuten, dass es etwas mit Kunst zu tun haben könnte, aber ein Blick auf die Beispielsätze macht schnell klar, dass das nicht stimmen kann. Oder müssen angehende Ingenieure an Princeton sich auch künstlerisch betätigen? Nein, müssen sie nicht. Die Sache wird klarer, wenn man weiß, dass es vollständig  „liberal arts and sciences“ heißt. Und damit sind die klassischen Grundlagenfächer in den Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften gemeint, also z.B. Literatur, Sprachen, Anthropologie, Geschichte, Volkswirtschaftslehre, Soziologie, Mathematik, Physik, Biologie oder Chemie. Das sind alles Studienfächer, bei denen es nicht um eine unmittelbare Anwendbarkeit oder einen direkten Nutzen des Wissens geht.

Wer ein solches Fach studiert, ist nicht in erster Linie an Nützlichkeit interessiert, sondern daran, sich komplexes Wissen zu erarbeiten, Neues zu entdecken, Theorien zu entwickeln, systematisch zu denken, kritische Fragen zu stellen – kurz gesagt: sich intellektuell weiterzuentwickeln. Daher auch die Bezeichnung „liberal“: Es sind Fächer, die das Denken und damit auch die Persönlichkeit „befreien“. Nicht zu den liberal arts gehören folglich die eher technisch-anwendungsorientierten, nützlichen Studienfächer wie z.B. Medizin, Jura, Pharmazie, Ingenieurswesen, Betriebswirtschaft, Pädagogik, Journalistik, Bildende Künste oder Design. Hier geht es vor allem um Kenntnisse und Kompetenzen, die für eine bestimmte berufliche Praxis relevant sind.

Breite Bildung statt Berufsqualifizierung

Das Besondere am Bachelorstudium in Nordamerika ist nun, dass alle Studierenden unabhängig von ihrem angestrebten Hauptfach einige Lehrveranstaltungen in den liberal arts belegen müssen. Das ist gemeint, wenn es wie oben zitiert bei Princeton heißt, das Ingenieurstudium finde im Kontext eines „liberal arts approach to education“ statt. Im Klartext heißt das, dass auch die Studierenden in den technischen Fächern mindestens sieben Lehrveranstaltungen in den Geistes- und Sozialwissenschaften besuchen müssen. Auch die anderen Zitate sind nun verständlich: An der kanadischen Rodman School z.B. beschäftigen sich die BWLer nicht nur mit Rechnungswesen, Marketing oder Unternehmensführung, sondern auch mit Literatur, Geschichte und Politik. Dahinter steht die Idee, dass auch Ingenieure, Manager, Ärzte und Immobilienmakler sich im Studium mal mit grundsätzlichen kulturellen, gesellschaftlichen oder naturwissenschaftlichen Fragen beschäftigt haben sollten.

Auf Deutsch könnte man liberal arts education also am besten mit „Studium Generale“, „akademischer Allgemeinbildung“ oder „humanistischer Bildung“ übersetzen. Umfang und Inhalt variieren von Hochschule zu Hochschule, aber das Grundprinzip findet sich überall wieder: Zu einem guten Studium gehört nach nordamerikanischer Auffassung nicht nur die Vermittlung von praxisrelevantem Fachwissen, sondern auch die Persönlichkeitsbildung durch die Beschäftigung mit unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen, Problemen und Methoden – insbesondere während der ersten beiden Studienjahre. Am Ende des Bachelorstudiums stehen dann im Idealfall „well-rounded persons“ – keine Spezialisten. Dieser Gedanke ist tief in der DNA des Hochschulwelt in Nordamerika verankert, in den USA noch einmal stärker als in Kanada. Wer also ein reines Fachstudium anstrebt, sollte lieber in Europa bleiben oder erst für den Master nach Nordamerika gehen.

Wozu braucht man das?

Natürlich ist dieser Ansatz auch in den USA nicht unumstritten. Kritiker führen an, dass Hochschulen heute in der Pflicht stehen, ihren Studierenden praxisnahe, berufsrelevante Kenntnisse zu vermitteln, damit die Absolventen auf dem harten Arbeitsmarkt bestehen können. Kant und Hegel zu lesen, sei da eher nicht zielführend. Befürworter der liberal arts education hingegen argumentieren, dass gerade ein breit angelegtes Bachelorstudium die optimale Vorbereitung für eine sich stetig wandelnde Arbeitswelt sei, denn die dadurch erworbenen Fähigkeiten – z.B. über den Tellerrand eigener Interessen hinaus zu schauen, sich unter hohem zeitlichen Druck neue Wissensgebiete zu erschließen, Fakten zu recherchieren, klar zu argumentieren und Ansichten abzuwägen – seien später für jede Art beruflicher Tätigkeit entscheidend.

Die größten Anhänger der Liberal Arts-Philosophie finden sich an den Hochschulen mit dem höchsten Prestige, also den privaten Forschungsuniversitäten und kleinen, hochselektiven Colleges. Diese bereiten ihre Studierenden nämlich explizit nicht auf bestimmte berufliche Tätigkeiten vor. Darum werden anwendungsorientierte Fächer wie BWL oder Maschinenbau an den Elitehochschulen oft gar nicht als Bachelorfach angeboten, sondern erst im Masterstudium. Nicht zufällig habe ich daher die beste Beschreibung der Liberal Arts-Philosophie auf der Website von Yale gefunden:

Yale is committed to the idea of a liberal arts education through which students think and learn across disciplines, literally liberating or freeing the mind to its fullest potential. The essence of such an education is not what you study but the result – gaining the ability to think critically and independently and to write, reason, and communicate clearly – the foundation for all professions.

Die führenden amerikanischen Universitäten sagen also: Es ist nicht so wichtig, welches Fach du im Bachelorstudium studierst – es kommt auf die Fähigkeiten an, die du dabei entwickelst.

Rückimport nach Europa

Obwohl die Idee der „artes liberales“ ursprünglich aus Europa stammt, ist sie aus den Lehrplänen der Universitäten hierzulande weitgehend verschwunden. Durch die Bologna-Reformen wurden die Studieninhalte sogar noch spezialisierter und  durchstrukturierter. Dass das Ideal eines breiten, nicht unmittelbar zweckgebundenen „Lernens um des Lernens  willen“  ausgerechnet in den USA hochgehalten wird – wo angeblich nur zählt, was sich in Geld und Gewinnen ausdrücken lässt – ist eine feine Ironie. Und ein wichtiger Grund, sich für ein Bachelorstudium in Nordamerika zu entscheiden – insbesondere für diejenigen, die noch unschlüssig sind, wohin die akademische und berufliche Reise nach dem Abitur gehen soll, die neugierig und vielseitig interessiert sind, die experimentieren möchten anstatt sich frühzeitig festzulegen.

Doch auch in Europa gibt es eine Rückbesinnung auf die Liberal Arts. Mit explizitem Bezug auf die nordamerikanischen Vorbilder haben in den letzten Jahren etliche Universitäten in den Niederlanden und Großbritannien sogenannte University Colleges mit Liberal Arts-Studiengängen eingerichtet, in denen es nicht um ein enges Fachstudium, sondern um interdisziplinäre und problemorientierte Fragestellungen geht. Pionier in Deutschland ist die Universität Freiburg mit ihrem University College und dem 2012 eingeführten vierjährigen Bachelor in Liberal Arts and Sciences. Außerdem unterhalten einige amerikanische Colleges einen Zweigcampus in Europa, wo diese Philosophie verfolgt wird. In meiner unmittelbaren Nachbarschaft in Berlin zum Beispiel das ehemalige European College of Liberal Arts, das heute Bard College Berlin – A Liberal Arts University heißt und zum Bard College in Upstate New York gehört.

Kurz vorgestellt: Columbia University

Die private Columbia University in New York City (Manhattan) zählt zu den acht Ivy League-Universitäten und damit auch zu den renommiertesten Hochschulen weltweit. Sie ist bekannt für ein anspruchsvolles Studium und Spitzenleistungen in der Wissenschaft. Anders als der lokale Rivale, die New York University (NYU), verfügt sie über einen sehr schönen, traditionellen Campus in der Upper West Side (Morningside Heights), einer hübschen, recht wohlhabenden und ziemlich sicheren Gegend unweit des Central Park. Fast alle Bachelorstudenten wohnen während der gesamten vier Jahre auf dem Campus, und auch viele Professoren haben ihre Apartments in der näheren Umgebung. Dadurch entsteht ein starkes Gemeinschafts- und Zusammengehörigkeits-gefühl unter den rund 26.000 Studierenden (davon rund 8.000 im Bachelorstudium).

Zwei Jahre Studium Generale: Das Core Curriculum

Für das Bachelorstudium ist vor allem das Columbia College zuständig, das rund 60 Studienfächer in den Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften anbietet. Das wichtigste Merkmal des Bachelorstudiums an Columbia ist das sogenannte Core Curriculum, auf das die Universität sehr stolz ist. „Core Curriculum“ bedeutet, dass alle Studierenden in den ersten zwei Studienjahren in kleinen, diskussionsorientierten Seminaren mit max. 25 Teilnehmern die gleichen Texte aus verschiedenen Fachbereichen (z.B. Literatur, Naturwissenschaft, Fremdsprachen etc.) lesen und besprechen – unabhängig von ihrem späteren Hauptfach. Dieses Studium Generale soll der Allgemeinbildung dienen und die kritische Reflexion über Fächergrenzen hinweg (interdisziplinär) fördern, so dass die Absolventen der Universität „well-rounded persons“ sind. Erst am Ende das zweiten Studienjahres wählen die Columbia-Studenten ihr Hauptfach, in dem sie dann rund 10 Kurse belegen. Das Studium gliedert sich also wie folgt: ein Drittel Core Curriculum, ein Drittel Hauptfach, ein Drittel Kurse nach Wahl, „concentrations“ oder ein zweites Hauptfach („double major“).

DSC03602Die Qualität des Studiums ist durch die Bank hervorragend. Die besten Angebote finden sich in Anglistik, Geschichte, Politikwissenschaft und Psychologie. Bei den Naturwissenschaften stechen insbesondere Chemie und Biologie hervor. Darüber hinaus stehen Kurse in 40 verschienden Fremdsprachen zur Auswahl, darunter Serbokroatisch, Usbekisch oder Hausa. Besonders der Fachbereich für Ostasiatische Sprachen und Kulturen sucht weltweit seinesgleichen. Zudem bietet Columbia zahlreiche anspruchsvolle Fächerkombinationen wie z.B. Philosophie/VWL oder Biologie/Psychologie. Für die bildenden Künste gehört die Universität zwar nicht zu den ersten Adressen, aber dafür ist das Angebot im Bereich Musik fast unschlagbar, nicht zuletzt aufgrund der Möglichkeit, parallel zum Studium Instrumentalunterricht an der berühmten Juilliard School of Music zu nehmen oder sogar einen Doppelabschluss (Bachelor of Arts/Master of Music) von beiden Institutionen zu erwerben. Wer sich allerdings für BWL (Business Management) interessiert, ist an Columbia falsch, denn wie an vielen anderen Elitehochschulen der USA wird dieses Fach als Bachelorstudiengang gar nicht angeboten, sondern erst im Masterstudium. An Columbia gibt es Business lediglich als „concentration“, also nicht als vollwertiges Hauptfach. Dabei handelt es sich um einige BWL-Kurse, die von der Columbia Business School speziell für das Bachelorstudium konzipiert werden. (Die Nummer Eins in Sachen Undergraduate Business in New York ist die Stern School of Business an der NYU.)

Neben der Qualität der akademischen Ausbildung an Columbia bietet natürlich auch der Standort New York City zahlreiche Vorteile, insbesondere in Bezug auf Jobs und Praktika. Die Universität verfügt über hervorragende „Career Services“, die den Studenten bei der Suche nach Praktikumsplätzen in NCY und darüber hinaus behilflich sind. Auch Internationalität ist ein Merkmal des Studiums an Columbia. Nicht nur dass die Hochschule viele Bewerber aus dem Ausland anzieht, auch rund ein Drittel der Columbia-Studenten verbringt während ihres dritten Studienjahres eine Zeit im Ausland. New York City ist bekanntermaßen ein sehr teures Pflaster, aber durch die Unterbringung in den Wohnheimen auf dem Campus sind die Studenten vor den hohen Mieten in Manhattan geschützt; außerdem gibt es etliche Studentenrabatte, z.B. über die „Columbia University Arts Initiative“, über die Columbia-Studenten vergünstigte Tickets für Kulturveranstaltungen bekommen können.

Stipendien für ausländische Studenten

DSC03601Die Studienkosten an Columbia betragen jährlich rund 62.000 US-Dollar (einschließlich Unterbringung auf dem Campus und Verpflegung). Gleichzeitig vergibt die Universität aber auch zum Teil sehr hohe Stipendien bis hin zur Übernahme der kompletten Kosten – und zwar auch für internationale Bewerber! Bei diesen Finanzhilfen handelt es sich um „need-based aid“, d.h. die Förderung beruht allein auf finanzieller Bedürftigkeit. Wer sich dafür bewerben will, muss zusammen mit der Bewerbung die finanzielle Situation der Familie offen legen, ähnlich wie beim Bafög in Deutschland. Im Falle einer Zulassung übernimmt die Universität dann die Differenz zwischen dem, was die Familie selbst zahlen kann und dem, was es insgesamt kostet. Anders ausgedrückt: Wer das Studium bezahlen kann, muss auch zahlen und bekommt kein Stipendium. Wer nicht (alles) zahlen kann, wird unterstützt. Der Haken für ausländische Bewerber ist natürlich, dass die Zahlungsfähigkeit eine gewisse Rolle bei der Zulassungsentscheidung spielt, d.h. je mehr Geld man von der Universität benötigen würde, desto unwiderstehlicher muss die Bewerbung sein. Also noch unwiderstehlicher als sie bei der großen Konkurrenz ohnehin schon sein muss.

Denn die Zulassung zu Columbia ist extrem schwierig. Im letzten Jahr (2014) lag die Zulassungsquote unterhalb 7 Prozent. Neben herausragenden Schulnoten und Top-Scores in den Sprach- und Eignungstests (TOEFL und SAT plus 2 SAT Subject Tests oder alternativ den ACT Plus Writing) ist auch noch ein hohes Maß an „Involvement“ in einem oder mehreren außerschulischen Bereichen gefragt. Dazu am besten noch Preise in Wettbewerben wie Jugend forscht usw. Viel hängt auch von den Bewerbungsessays und den Empfehlungsschreiben der Lehrer ab. Eine interessante und vielseitige Persönlichkeit sowie charakterliche Reife  sind ebenfalls wichtig. Worauf die Universität bei der Zulassung alles achtet, kann man hier nachlesen.

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Fotos: (c) Carsten Bösel

Schüler bekommt Zusage für alle acht Ivy League Universitäten

Wow. Wie Spiegel Online heute berichtet, ist es dem 17-jährigen Schüler Harold Ekeh aus New York gelungen, an allen acht Ivy League-Universitäten angenommen zu werden, außerdem noch am MIT und der Johns Hopkins University. Das ist natürlich eine Riesenleistung, insbesondere wenn man bedenkt, dass Harold erst mit acht Jahren mit seinen Eltern aus Nigeria in die USA gekommen ist. Dieser familiäre Hintergrund und die damit verbundenen Schwierigkeiten, die er überwinden musste, haben ohne Frage bei der Zulassungsentscheidung eine Rolle gespielt. Aber natürlich hatte Harold auch hervorragende Noten und Testergebnisse sowie ein beeindruckes außerunterrichtliches Engagement vorzuweisen. Unter anderem kam er bei einem landesweiten Wettbewerb zur Alzheimerforschung bis ins Halbfinale. Also: Respekt!

Als Studienberater frage ich mich allerdings, welche Bewerbungsstrategie der Schüler verfolgt hat, außer es einfach wahllos überall bei den „Großen“ zu versuchen. Denn die Ivy-League Universitäten sind eigentlich zu unterschiedlich und im Bachelorstudium teilweise gegensätzlich strukturiert, als dass man sich für alle gleichermaßen begeistern kann – es sei denn man schaut nur auf das Prestige. An der Columbia University zum Beispiel müssen alle Bachelorstudenten zunächst zwei Jahre lang ein relativ rigides „Core Curriculum“ durchlaufen, bevor sie sich mit ihrem eigentlichen Hauptfach befassen dürfen. Brown dagegen ist für sein „Open Curriculum“ bekannt, also das genaue Gegenteil: Hier dürfen die Bachelorstudenten ihre Kurse von Anfang an völlig frei wählen. Außerdem gilt Brown als sehr linksliberal, während beipielsweise an Dartmouth eine sehr konservativ-traditionelle Campus-Atmosphäre vorherrscht. Wer sich für ein Studium in der Großstadt etwa an Columbia oder UPenn begeistert, kann der ländlichen Isolation von Cornell in der Regel nicht viel abgewinnen. Und so weiter.

Entscheidend für den Bewerbungserfolg an selektiven US-Hochschulen ist es darzulegen, dass Hochschule und Bewerber in vielerlei Hinsicht perfekt zueinander passen („match“). Wer gut zu Yale passt, passt nicht unbedingt gut zu Brown. Wenn es dennoch im Ausnahmefall gelingt, alle Eliteuniversitäten gleichzeitig zu überzeugen – wunderbar. Aber als allgemeine Bewerbungsstrategie würde ich das  nicht empfehlen, sondern eher auf eine nach mehreren Kriterien sorgfältig zusammengestellte College-Liste setzen, die vor allem inhaltlich gut durchdacht ist und nicht nur auf die großen Namen setzt.